Ich hätte nicht gedacht, dass ich während meines Urlaubs einmal freiwillig um 5 Uhr aufstehe. Aber was tut man nicht alles für einen Beitrag? Und außerdem: Ich muss da nur ein Mal durch, während Christof Boesenecker, der Juniorchef der Bodenseefischerei Boesenecker in Gohren am Bodensee, das täglich macht. Meistens sogar noch früher. Aber montags startet die Woche für ihn auch „gemütlich“ – um 06:30 Uhr sind wir verabredet.
Im Sonnenaufgang mache ich mich über leere Landstraßen auf den Weg – von meiner Heimat in Oberschwaben, in der ich gerade Urlaub mache, an den Bodensee. Nach einer halben Stunde Fahrt, direkt am Ortseingang des kleinen Ortes Gohren, hinter einer Apfelplantage, finde ich die Fischerei Boesenecker. Ein großes Schild weist auf den frischen und geräucherten Bodenseefisch hin, den es hier täglich ab 10:30 Uhr zu kaufen gibt. Nach ein paar Minuten und einer Zigarette in der Morgensonne kommt auch Christof auf den Hof gefahren. Mit seinen 29 Jahren ist er ein wahrer Exot unter den Fischern am Bodensee – inzwischen gibt es dort nur noch drei hauptberufliche Fischer unter 40 Jahren. Ein erstes Zeichen für die angespannte Lage der Berufsfischerei am See.
Ab auf den See
Bevor es auf den See geht, gibt es erst noch kurz einen Kaffee – dafür bin ich um diese Uhrzeit sehr dankbar. Danach beladen wir den Pick-Up der Fischerei mit einer Kiste Eis, Plastikkisten und Dieselkanistern für das Schiff und machen uns auf den Weg an den Hafen. In der Marina Meichle & Mohr, zwischen Segel- und Motorjachten aller Farben und Größen liegen einige kleine Boote von Fischern – auch die von Christof und seinem Vater. Nachdem wir das Schiff betankt und beladen haben, geht es auch schon los. Gemütlich tuckern wir aus dem Hafen, bevor es dann mit ordentlicher Geschwindigkeit über den noch leeren See geht. Und obwohl der Motor durch die morgendliche Stille schneidet, ist die Ruhe auf dem See in der Morgensonne beeindruckend. Ich stehe hinter dem Führerhaus und lasse mir den kühlen Fahrtwind ins Gesicht wehen.
Wir sind auf dem Weg Richtung Eriskircher Ried – ein Naturschutzgebiet am Seeufer in der Nähe von Friedrichshafen, das wir nach ca. 10 Minuten Fahrt erreichen. Dort hat Christof am Vortag Bodennetze ausgelegt. Das sind 3 x 2 Netze mit jeweils 100 Metern Länge und 2 Metern Höhe, die hier in 25 Metern Wassertiefe wie ein Maschendrahtzaun am Grund des Sees liegen. Er hält Ausschau nach den Plastikkanistern, die die Lage der Netze anzeigen, bremst das Boot ab und manövriert das Schiff mit einer geübten Wende so, dass er den Kanister einfach mit der Hand aus dem See fischen kann. Die Leine, die am Kanister befestigt ist, wird dann direkt über eine Rolle am Schiff gelegt, die das Netz dann an die Oberfläche befördert. Nach wenigen Momenten geht die Leine in das Netz über und die ersten Felchen, die in der Morgensonne silbrig funkeln, kommen zum Vorschein.
Mit der Ausbeute des ersten Netzes ist Christof zunächst ganz zufrieden. Neben den Felchen – dem wichtigsten Wirtschaftsfisch am Bodensee – haben sich auch noch ein wunderschöner Saibling und eine Trüsche in das Netz verirrt. Aber auch wenn es dieses Jahr durch die Hochwasser und den vielen Regen im Frühjahr mehr Nährstoffe und damit auch mehr Fisch im See gibt, bleibt die Lage der Berufsfischer angespannt (siehe Infokasten).
Der Beruf des Bodenseefischers
„Mein Vater sagte: Sohn, lern lieber was Ordentliches!“
Während Christof die Felchen aus dem Netz befreit und in die Tonne mit Eiswasser wirft, unterhalten wir uns ein bisschen über den Beruf des Fischers. Wie erwähnt ist Christof mit seinem Alter ein wahrer Exot unter den Bodenseefischern. Der Wirtschaftszweig schrumpft seit Jahren extrem, entsprechend wenig Nachwuchs gibt es. Während es vor 10 Jahren noch ca. 180 Vollerwerbsfischer am Bodensee gab, gibt es heute nur noch 80. Christof kam durch den elterlichen Fischereibetrieb natürlich schon früh in den Kontakt mit der Fischerei. Und nachdem er nach der Schule nicht genau wusste, was er tun sollte, hat Christof sich für das Naheliegendste entschieden und die Ausbildung zum Fischwirt begonnen – auch wenn der Vater ihm davon eindringlich abgeraten hatte. Er war der Meinung, Christof sollte lieber „etwas Ordentliches lernen“. Aber Christofs Entscheidung stand fest. Er absolvierte die Ausbildung und machte im Anschluss auch noch seinen Meister in Fischereiwirtschaft.
Bevor er dann so richtig in das Familienunternehmen eingestiegen ist, ging es nochmal ins Ausland. Zwei Jahre reiste er durch Australien und heuerte dort auch auf verschiedenen Fisch-Trawlern an. Auf insgesamt 6 Booten in 4 verschiedene Fischereibereichen, darunter auch Langleinen- und Schleppfang auf hoher See, verdingte Christof sich. Die Zeit dort sei verdammt gut gewesen, meint er. Aber natürlich überhaupt nicht vergleichbar mit der Fischerei am beschaulichen Bodensee.
Warum geht es den Fischern am Bodensee schlecht?
Wie bereits erwähnt, ist die Lage der Bodenseefischerei äußerst angespannt. Im Gegensatz zu den Weltmeeren ist hier aber nicht die Überfischung das Problem. Der Fischfang am Bodensee ist schon lange extensiv – dies wird durch Fangquoten, Fangtage, Schonzeiten und -maße sichergestellt. Und die Zahl der Fischer geht kontinuierlich zurück. Vielmehr ist es die Wasserqualität, die den Fischern in den letzten 3 Jahren die schlechtesten Fänge seit 70 Jahren bescherte. Und ausnahmsweise ist das Wasser im Bodensee nicht zu dreckig, sondern seit Jahren zu sauber. Oder besser gesagt: zu nährstoffarm. Durch die Filterung in den Kläranlagen der Region kommt kaum Phosphat in den See: der Phosphatgehalt liegt im Bodensee derzeit bei rund 5 – 6 mg pro 1.000 Liter Seewasser. Laut dem Berufsfischerverband wäre ein Phosphatgehalt von 12 – 14 mg wünschenswert und ausreichend für stabile Erträge. Denn das Phosphat ist die Grundlage der Nahrungskette – davon ernährt sich das Phytoplankton, welches wiederum die Grundlage für Zooplankton, Friedfische und Raubfische bildet:
Durch die fehlenden Nährstoffe wachsen die Fische im Bodensee also nur sehr langsam und vermehren sich nicht genügend. Es gab sogar schon Jungfische, die im See verhungert sind.
Warum wird nicht mehr Phosphat in den See geleitet? Felder und andere Kulturlandschaften werden ja auch gedüngt.
Auch wenn ein Phosphatgehalt von 12 –14 mg noch weit von Grenzwerten der Trinkwasserversorgung entfernt wäre, ist eine Erhöhung nicht so einfach möglich. Der Bodensee wurde nicht als Voralpengewässer, sondern als Alpengewässer klassifiziert – dadurch gelten hier strengere Richtlinien. Außerdem gibt es für Gewässer europaweit ein Verschlechterungsgebot. Ist einmal eine bestimmte Wasserqualität erreicht, darf diese nicht mehr absichtlich verschlechtert werden. Diese Richtlinien und Regelungen sind grundsätzlich richtig, um die Qualität unserer Binnengewässer sicherzustellen. Aber im Falle des Bodensees, der in den 70er Jahren noch erheblich stärker verschmutzt war, haben diese Regelungen so gut gegriffen, dass man aus Sicht der Fischer über das Ziel hinausgeschossen ist.
Was macht die Politik? Gibt es Lösungsansätze oder Unterstützung für die Fischer?
Von der Politik erhalten die Fischer leider keinen großen Rückhalt. Laut Christof Boesenecker gebe es dort einfach kein Bewusstsein für die Fischerei am Bodensee. Und dafür, dass dieser Berufszweig bald komplett aussterben werde, wenn nicht gehandelt wird. Zwar wurden von der Politik kürzlich Netzgehege und Aquakulturen im See ins Gespräch gebracht, diese würden aber das grundsätzliche Problem des nährstoffarmen Wassers nicht lösen. Dabei hätte der Bodensee locker das Potential, die ganze Region Bodensee-Oberschwaben mit frischem Fisch zu versorgen.
Weitere Informationen zur Wasserqualität im Bodensee gibt es online bei der Initiative „Rettet den Bodensee“ unter www.rettet-den-bodensee.net
Wie ein Fischer trotzdem überleben kann
Zurück auf dem See. Christof hat inzwischen alle 6 Bodennetze eingeholt. Im Gegensatz zu den ersten Netzen war die Ausbeute bei den restlichen Netzen geringer – mal wieder. Bevor wir zurück in den Hafen fahren, kontrollieren wir noch ein Trappnetz, das ist eine große Reuse, in Ufernähe. Neben einigen Rotaugen sind auch drei Aale und zwei Zander in die Reuse geschwommen. Ebenfalls kein großer Fang. Christof hatte zumindest auf einen Hecht oder eine Wels gehofft. Obwohl ich am Bodensee aufgewachsen bin, ist es mir neu, dass es hier auch Aale gibt. Diese werden als Glasaale im Bodensee ausgesetzt und wachsen dort auf eine stattliche Größe heran. Laut Christof ist der Aal im Herbst sogar der zweitwichtigste Wirtschaftsfisch für die Bodenseefischer. Bei entsprechenden Wetter- und Windverhältnissen kommen teilweise 100 kg und mehr in die Netze und werden dann zu Räucheraal verarbeitet.
„Die Leute sind bereit, einen ordentlichen Preis für ein gutes Produkt zu zahlen, aber irgendwo ist halt auch die Schmerzgrenze.“
Insgesamt ist Christof mit dem Fang des Tages nicht ganz zufrieden. Mal wieder hätten die Netze voller sein können. Er gibt mir ein kleines Rechenbeispiel: Mit den ca. 20 kg Felchen, die er heute gefangen hat, kann er einen Erlös von rund 300€ erzielen. Mit dem Auslegen und Einholen der Netze, der Verarbeitung der Fische und allem, was sonst noch dazu gehört, muss er dafür rund 5–6 Stunden und 15 Liter Diesel investieren. Kein wirklich üppiger Stundenlohn. Und verkauft ist der Fisch dann auch noch nicht, das kommt noch obendrauf. Gemessen an der aktuellen Fangmenge, die ungefähr 20% der Fangmenge von vor 12 Jahren beträgt, müsste das Kilo Felchenfilet eigentlich 100€ kosten. „Die Leute sind bereit, einen ordentlichen Preis für ein gutes Produkt zu zahlen, aber irgendwo ist halt auch die Schmerzgrenze“, meint Christof. Immerhin kann inzwischen im Handel der doppelte Preis im Vergleich zu 2006 erzielt werden.
Bei Boeseneckers ist der Betrieb nur noch wirtschaftlich tragfähig, weil die Familie neben der Fischerei auch auf Direktvermarktung setzt und einen eigenen Fischhandel betreibt. Touristen und einheimische Stammkunden können direkt in der Fischerei die frischen und geräucherten Fische erwerben. Zusätzlich wird der selbstgefangene Fisch und einige Zukäufe von Zucht- und Meeresfisch auch auf lokalen Wochenmärkten an die Endkunden verkauft, der Rest geht in geräucherter Form an den Lebensmittel-Einzelhandel – denn auch dort sind noch relativ gute Margen zu erzielen. An die Gastronomie verkaufen die Boeseneckers nicht viel Fisch – mit einer Ausnahme. Valentin Knoerle, der Küchenchef vom Haus am See in Nonnenhorn und ein Freund von Christof, erhält von ihm öfters die kapitalen Beifänge wie Wels, Zander, Hecht oder auch große Seeforellen zur Verarbeitung in seinem Restaurant. Davon konnte ich mich am folgenden Tag überzeugen, als ich Valentin in seiner Küche besucht habe.
Inzwischen sind wir wieder zurück im Betrieb der Boeseneckers. Die Felchen wurden in eine große Metalltrommel gegeben und entschuppt. Christof nimmt sich die Kiste und beginnt damit, die Fische maschinell zu spalten und filetieren. In wenigen Minuten sind alle Fische durch die Maschine gelaufen. Nach der Reinigung der Maschine werden die Filets nochmal einzeln von Hand nachgeschnitten. In einer unglaublichen Geschwindigkeit und mit großer Ruhe schneidet Christof die Filets zu, wäscht diese nochmal und schichtet sie in eine der vorbereiteten Plastikboxen bevor sie in den Kühlraum verschwinden. Einige Lachse, die inzwischen angeliefert wurden, kommen auch direkt unters Messer. Einer bleibt aber noch am Stück, ein Kunde im benachbarten Österreich hat einen ganzen Lachs für den Grill bestellt. Nachdem Christof alle Arbeitsflächen und Geräte gesäubert hat, geht es in die Mittagspause. Später muss er nochmal auf den See, um die Stellnetze für den nächsten Tag auszulegen. Dann wird er wieder um 04:30 Uhr in der Früh auf den See fahren und den Fang einholen.
„Ich könnte mir nicht vorstellen, etwas Anderes zu machen.“
Ich frage Christoph, ob er seinen Beruf gern macht. „Ich könnte mir nicht vorstellen, etwas Anderes zu machen“ kommt es aus ihm herausgeschossen. Die körperliche Arbeit und das frühe Aufstehen seien zwar hart, vor allem im Herbst und Winter, wenn das Netz auch mal direkt an der Bordwand des Bootes festfriert. Auch die Faszination für den See am frühen Morgen gehe nach 12 Jahren immer öfter in Gewohnheit über. Aber schön sei es immer noch, morgens auf den See zu fahren und dort die Ruhe zu genießen. Und jeden Tag gibt es auf’s neue die Hoffnung auf eine schöne Überraschung im Netz. Und damit meint Christof nicht bestimmte Fische wie Hechte oder Seeforellen. „Der Jackpot ist, wenn du 10 Kisten Fisch fängst“.
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