Die englische Küche genießt nicht unbedingt den besten Ruf. Frittierter Fisch, Bohnen aus der Dose und Würstchen zum Frühstück. Aber es geht auch anders. Das beste Beispiel hierfür ist der Borough Market, der – nur einen Steinwurf von der Themse und dem Finanzviertel – die Londoner seit dem 13. Jahrhundert mit frischen Lebensmitteln aus dem Umland und aller Welt versorgt. Ich war in London und habe mich bei der Gelegenheit mal etwas genauer auf dieser kulinarischen Insel mitten im hektischen London umgeschaut.
Dieser Artikel ist der Start einer unregelmäßigen Serie über lokale Märkte. Solltet ihr einen Tipp für einen besonders schönen Markt haben, dann gebt gerne hier kurz Bescheid oder hinterlasst eure Empfehlungen in den Kommentaren unter dem Artikel.
Ich bin mit einem wunderschönen Wochenmarkt in Oberschwaben aufgewachsen und liebe es einfach, über Märkte zu schlendern. Auch wenn ich irgendwo im Urlaub bin, versuche ich, einen lokalen Markt zu besuchen – egal, ob ich eine Möglichkeit zum Kochen habe oder nicht. Ein Land lernt man ja bekanntlich am Besten über seine Küche kennen und Marktbesuche sind neben Restaurantbesuchen natürlich der direkteste Blick in die Küche eines Landes.
Daher stand der Borough Market auch schon bei meinem ersten Besuch in London im Jahr 2013 fest auf dem Reiseplan. Jetzt, 2016 war ich wieder für ein Wochenende in London und habe mich nochmal auf den Weg in die alte Markthalle und unter die Bahngleise gemacht, um diesen weitläufigen, wunderschönen Stadtmarkt zu durchstreifen – und meine Beobachtungen möchte ich nun hier mit euch teilen.
Aber zuerst noch ein kleiner Exkurs. Der Borough Market ist nämlich kein üblicher Wochenmarkt – mit „fahrenden“ Händler, die an Markttagen in die Stadt kommen und genau so schnell auch wieder weg sind, wie es hierzulande oft der Fall ist. Viel mehr ist er mit der Markthalle 9 in Berlin, der Stuttgarter Markthalle oder dem Viktualienmarkt in München zu vergleichen. Es handelt sich also um einen Markt mit festen Ständen, an denen die Händler ihre Waren feil bieten. Und in London machen sie das an besagter Stelle seit dem 13. Jahrhundert.
Nachdem der Markt viele hundert Jahre lang einen großen Teil der Innenstadt mit Lebensmitteln versorgte, verlor er im 20. Jahrhundert durch das Aufkommen von Supermärkten immer mehr an Bedeutung. Erst in den 90er-Jahren siedelten sich in den teilweise leerstehenden Hallen wieder neue Händler an, darunter Neal’s Yard Dairy und Brindisia. Diese Händler veranstalteten verschiedene Events rund um’s Thema Essen, die nach und nach immer mehr Publikum anzogen. Und so wurde aus einer monatlichen Markt-Veranstaltung ein Markt, der inzwischen 6 Tage in der Woche geöffnet hat.
Aber zurück zu meinem Besuch. Es ist Samstag Morgen, kurz nach 8, als ich mich auf den Weg quer durch die Stadt mache. Bei Sonnenschein laufe ich mit einem Kaffee durch die noch leeren Straßen Londons, immer Richtung des Hochhauses „The Shard“. Am Ende der Southwark Street, kurz bevor die London Bridge wieder über die Themse Richtung Finanzviertel führt, befindet sich in einer Seitenstraße der Eingang zum Borough Market. Jetzt, kurz vor 9 Uhr ist es noch relativ ruhig, aber das soll sich ziemlich schnell ändern.
Außer meinem mittelmäßigen Coffee to go habe ich noch nichts im Magen. So sollte man nicht über einen Markt streifen. Und zum Glück gibt es wahrscheinlich auf jedem Markt der Welt einen Stand, der auch schon morgens Herzhaftes anbietet, um die hungrigen Mägen der Marktbeschicker zu füllen. Auf dem Borough Market ist das „Maria’s Market Café“. In einem kleinen roten Container brutzeln Maria und ihr Team seit vielen Jahrzehnten Bacon, Eier, Bubble & Squeak (Kartoffelbrei mit verschiedenem Gemüße) und Würstchen. Ist eine Bestellung fertig, wird sie einfach laut in die Halle gerufen. Hörbar für jeden und der Besteller darf dann nochmal an den Tresen vortreten und sein Essen in Empfang nehmen. Bei mir war es ein Sandwich mit Bacon, Ei und Bubble. Dazu etwas Brown Sauce und das Frühstück für Champions ist komplett.
Alles Käse?
Frisch gestärkt konnte jetzt also die erste Runde über den Markt angegangen werden. Und es ist einfach immer wieder überwältigend, über einen solchen Markt zu gehen. Fisch, Fleisch, Käse, Obst, Gemüse, Eingemachtes, Brot, Kuchen und so vieles mehr. Alles in bester Qualität. Einen ersten längeren Stop machte ich bei John und Ned von Mons Cheesmongers. Die beiden verkaufen auf dem Markt seit 2006 französischen Käse von Hervé Mons. Die großen Comté- und Gruyère-Räder machen nicht nur optisch Eindruck, auch geschmacklich ist das eine Offenbarung. Aber nicht nur dort gibt es guten Käse. Auch bei der Borough Cheese Company gibt es besten französischen Comté und lokale Käsesorten. Die Besitzer Dominic und Jason besuchen alle 6 Wochen das Fort Saint Antoine, um dort die besten Räder für ihren Stand auf dem Markt auszuwählen.
Gutes Brot in England? Kein Problem!
Aber Käse wäre ja nichts ohne gutes Brot. Und entgegen aller England-Vorurteile: Es gibt hier großartige Bäckereien. Von verschiedenen Sauerteig-Broten, Baguettes, Focaccias bis hin zu „German Kurbiskernbrot“ gibt es hier an vielen Ständen so ziemlich alles, was das Brot-Herz begehrt. Vom Süßgebäck will ich erst gar nicht anfangen…
Einer im Stall, einer auf dem Markt
Weiter zum Fleisch. Der Stand der Northfield Farm erregt meine Aufmerksamkeit. Dort kümmert sich Dominic McCourt um den Verkauf, während sein Bruder Leo sich zuhause in Oakham in den East Midlands um die Tiere auf der eigenen Farm kümmert. Hier ist also Farm-to-Table also keine leere Worthülse, ohne Zwischenhändler geht das Fleisch direkt in die Kühlräume auf dem Borough Market. In der Auslage liegen vorbereitete Porchetta-Braten, auf die Hand gibt es Burger und Salted Beef Bagels. Aber dafür ist es mir im Moment noch etwas zu früh, auch wenn der Bacon auf dem Grill ziemlich verführerisch duftet.
Aber nicht nur bei der Northfield Metzgerei gibt es gutes Fleisch. Auch bei The Ginger Pig gibt es Fleisch von der eigenen Farm in North Yorkshire. Und wenn ein Kunde ein Steak bestellt, wird kurz Maß genommen und sichergestellt, das man davon auch satt wird. Danach sah es zumindest aus.
Grün. Rot. Bunt.
Aber Fleisch ist ja bekanntlich nicht alles. Bei Turnips am anderen Ende der Halle gibt es nicht nur verschiedene Wurzelgemüse, sondern auch Salate, eine unglaublich große Auswahl an Tomaten, Pilzen und Kräutern. Ein Farbenmeer, das natürlich jetzt im Sommer richtig Lust macht, seinen Korb bis zum Rand zu füllen. Aber leider bin ich ja nur für’s Wochenende hier.
Der Fang des Tages
Ebenfalls beeindruckend ist die Auswahl bei Furness Fish & Game. Hier werden die Fische vor Ort ausgenommen oder auch mal die ein oder andere Krabbe geknackt. Und dabei sprechen wir nicht von Nordseekrabben, sondern von Kavenzmännern, die gut und gerne 2 kg auf die Waage bringen.
La dolce vita in London
Aber ein Stand hat mich noch besonders beeindruckt. Bei De Calabria gibt es, was der Name verspricht. Allerlei Leckerreien direkt aus Kalabrien, importiert vom Besitzer Giuseppe. Getrockneter wilder Oregano liegt hier zwischen verschiedenen Olivenölen, der junge Pecorino ist wahrscheinlich mit das Beste, was aus Schafsmilch je hergestellt wurde. Verschiedene Schinken, Soppressata Calabrese oder auch die scharfe Streichwurst Nduja stehen ebenso zur Auswahl wie ein kleiner unscheinbarer Topf, der aber damit wirbt, die besten Sardellen der Welt in sich zu haben. Und nachdem ich probiert habe, kann ich das nur bestätigen. Es sind wirklich die besten, zumindest in diesem Moment, in dem mein Mund einen Kurzurlaub in Süditalien macht.
Inzwischen sind einige Stunden vergangen. Der Markt hat sich nach und nach gefüllt und jetzt, um die Mittagszeit wird es wirklich eng. Einheimische und Touristen schieben sich durch die schmalen Gänge und mir wird es langsam zu viel. Das frühe Aufstehen hat sich auf jeden Fall gelohnt. Ich bin um viele Eindrücke reicher, mein Rucksack ist voll mit verschiedenen Schinken, Käse und Brot und ich mache mich so langsam auf den Weg. Am Ausgang nehme ich mir noch eine aktuelle Ausgabe der Marktzeitung mit, in der einige Händler nochmal vorgestellt werden und Rezepte abgedruckt sind. Voll bepackt mache ich mich auf Richtung Themse, um in einem kleinen Park am Südufer zu picknicken. Die Passanten, die dort an mir vorbeilaufen, schauen ein kleines bisschen neidisch.
Falls ihr auch in London unterwegs seid: Alle Informationen über den Borough Market findet ihr auf http://boroughmarket.org.uk/
Der Markt ist Montag – Samstag geöffnet; Montag und Dienstags haben allerdings nicht alle Stände geöffnet.