Für den geneigten Food-Nerd kann San Sebastián gar kein weißer Fleck auf der Karte sein. Hier findet man die höchste Dichte an Michelin-Sternen weltweit, eine große unterirdische Markthalle und unzählige kleine Kneipen und Restaurants in der Belle Epoque-geprägten Altstadt. Und letztere waren auch der Grund für meinen Besuch im vergangenen Herbst. Was ich dort erlebt habe, lässt sich wahrscheinlich auf keiner Speisekarte dieser Welt zusammenfassen! Um es kurz zu machen: ich habe wahrscheinlich noch nie so viele gute Gerichte in so kurzer Zeit gegessen. Achja, Spaniens beste Tortilla gab es dann auch noch. Gut, dass es danach erstmal für ein paar Tage zum Wandern in die Pyrenäen ging, um die gefühlten 60.000kcal wieder runterzubekommen…
Als ich mich am frühen Morgen an der französischen Atlantikküste aus dem VW-Bus schäle und mit einem Kaffee in der Hand die Dünen am Strand von Capbreton erklimme, um den Surfern bei ihrem Frühsport zuzusehen, ahne ich noch nicht, was mich an den folgenden zwei Abenden erwarten sollte. Als nächster Stop auf meiner Route war San Sebastián, die kulinarische Metropole des Baskenlandes geplant. Schon ein paar Tage zuvor hatte ich mir – während ich mit dem VW-Bus zwischen den Rebzeilen Pomerols stand – ein Zimmer im empfehlenswerten Koba Hostel gebucht und mich auf die Recherche nach den wirklich guten Adressen in Donostia, wie die Basken ihre Stadt nennen, gemacht.
Und mit den guten Adressen meine ich nicht die vielen Ein-, Zwei- und Drei-Sterne-Restaurants, die in San Sebastián auf den kulinarisch versierten Reisenden ausgerichtet sind. Vielmehr ging es mir darum, in den zwei Nächten einen Eindruck der hier beliebten Pintxos-Kultur zu bekommen. Pintxos sind die baskische Version der spanischen Tapas. Kleine Gerichte, warm oder kalt, meist direkt im Stehen an der Bar serviert. Kostenpunkt pro Gericht: meist zwischen schlanken 2 und 5 €! Das Wort Pintxos kommt übrigens vom spanischen Wort für „Spieß“, was einen erstmal an bittere Oliven auf Zahnstochern erinnern möchte. Glücklicherweise stellt sich diese Assoziation aber sehr schnell als sehr falsch heraus, denn das Gegenteil ist der Fall: in den Bars der Altstadt werden Snacks und kleine Gerichte auf Untertassen serviert, die überhaupt nichts mehr mit Fingerfood zu tun haben, sondern geschmacklich die gesamte Bandbreite der baskischen Küche transportieren.
Hier nun meine Top 5 der Pintxos-Bars in San Sebastián in halbwegs chronologischer Reihenfolge:
Paco Bueno – Old School is the best school
Die erste Adresse auf meiner Liste ist eigentlich schon die Quintessenz der Pintxos-Kultur: Eine unscheinbare Bar in einer der Gassen, rappelvoll mit Einheimischen und auch einigen Touristen. Das Neon-Licht ist zwar nicht unbedingt einladend, aber die gelöste Stimmung macht das wieder wett. Die Barkeeper verteilen fleißig kleine Tellerchen an die Gäste, rufen Bestellungen in die kleine Küche am hinteren Ende des Gastraums und zapfen ein Bier nach dem anderen. Ich entscheide mich für die frittierten Garnelen, ebenso zubereiteten Pulpo und ein kleines Brötchen mit einem Chorizo-Omelett. Und was soll ich sagen? Schon die ersten Bissen verraten mir, dass ich hier richtig bin… Die Garnelen knusprig und nicht zu fettig und auch das Omelett hat genau die richtige, saftige Konsistenz und Chorizo-Würze. Ein würdiger Start in dieser Bar, die übrigens von einem ehemaligen Profi-Boxer geführt wird. Man sollte also tunlichst vermeiden, an der Theke Ärger zu machen…
Paco Bueno
Calle Major 6
20003 San Sebastián
(Google Maps)
Casa Urola – Stay classy
Die zweite Pintxos-Bar an diesem Abend hebt die Latte direkt ein Stück höher. In der Casa Urola gibt es nämlich nicht nur den Bar-Bereich mit ein paar Holztischen, sondern im ersten Stock auch ein „richtiges“ Restaurant, das eher gediegen als rustikal daher kommt. Allein schon aufgrund der Portionsgrößen nehme ich aber an der Bar Platz und bestelle ein paar Kleinigkeiten von den Kreidetafeln, namentlich eine Kartoffelsuppe mit Pulpo und Speck, was sich als wirklich großartige Kombination herausstellt sowie eine halbe (!) Portion handgeschnittenen Bellota-Schinken, die nicht nur zwei Personen glücklich machen kann, sondern auch hervorragend schmeckt. Um mir die Wartezeit zu verkürzen nehme ich mir noch eine Scheibe Weißbrot, die mit geschmorten Zwiebeln, einem gesalzenen und einem frischen Anchovis-Filet und eingelegter Paprika belegt ist. Allein das macht schon Hunger auf mehr. Dazu gibt es dann auch den erst Txakoli für mich: ein frischer, junger Weißwein aus der Region, der mit seiner feinen Kohlensäure direkt aus Wassergläsern getrunken wird.
Casa Urola
Fermin Calbeton Kalea 20
20003 San Sebastián
(Google Maps)
Borda Berri – Risotto, Rippchen und Raviolo
Weiter geht es für mich nur ein paar Häuser die Straße runter. Inzwischen füllen sich die Pintxos-Bars mit Menschen und es wird etwas lauter und unübersichtlicher. Umso beeindruckender wirkt das Barpersonal auf mich, das zwischen Musik und den Lärm der Massen Bestellungen ausruft, Getränke ausschenkt und dabei immer den Überblick behält, wer am Ende was bezahlen muss. Ich habe einen Tipp bekommen, hier unbedingt das Risotto mit Queso Idiazábal, einem lokalen Schafskäse, zu probieren und tue wie mir geheißen. Was mir kurze Zeit später auf einem kleinen Tellerchen überreicht wird, ist fast nicht in Worte zu fassen. Ein salzig-süßliches, cremiges aber auch mit dem nötigen Biss ausgestattetes Risotto, das ich wahrscheinlich selten besser gegessen habe. Dagegen wirkt das zweite Gericht, ein Langustino-Raviolo mit Tomatensugo fast schon blass – obwohl es ebenfalls vorzüglich ist. Am nächsten Tag kehre ich nochmal hierher zurück, um das geschmorte Schweinerippchen auf Apfelmus zu probieren und ein Glas des lokalen Cidres dazu zu trinken. Das Fleisch ist fantastisch gewürzt, unglaublich zart und harmoniert super mit den Apfel-Aromen. Gut, dass ich nochmal hergekommen bin…
Borda Berri
Fermin Calbeton Kalea 12
20003 San Sebastián
(Google Maps)
La Cuchara de San Telmo
Die letzte Adresse des ersten Abends wartet direkt mit dem nächsten Highlight auf mich. In der Cuchara de San Telmo in einer kleinen Gasse hinter dem gleichnamigen Museum geht es laut her. Die Crew hinter der Bar ist bestgelaunt und scherzt mit den Gästen, während sie immer wieder Gerichte aus der offenen Küche entgegennimmt und lautstark die Namen der Bestellenden proklamiert. Zum Abschluss wird es für mich nochmal richtig herzhaft, ich bestelle das geschmorte Kalbsbäckchen auf Hummus und ein gebratenes Schweineohr. Letzteres ist unglaublich knusprig und innen saftig, das Bäckchen hat so viel Angst vor dem Messer, dass es schon beim Anblick einer Gabel in mundgerechte Portionen zerfällt. Das hier ist Soulfood auf höchstem Niveau. So gut, dass ich am nächsten Abend nochmal herkomme um das Raviolo mit Entenconfit sowie das intensive, 45 Tage gereifte Mini-Ribeye-Steak zu essen.
La Cuchara de San Telmo
31 de Agosto Kalea 28
20003 San Sebastián
(Google Maps)
Nestor – DIE spanische Tortilla
Als ich an meinem zweiten Tag durch die Gassen der Altstadt streife, habe ich Glück: Genau zur richtigen Zeit (12 Uhr Mittags) stehe ich zufällig vor der Bar Nestor, wo schon einige andere Food-Touristen stehen. Und das mit gutem Grund, denn hier gibt es angeblich eine der besten Tortillas Spaniens. Und die gibt es nur zwei mal am Tag, einmal Mittags und einmal Abends, jeweils 20 Tellerchen. Um Punkt 12 öffnet der Chef Nestor persönlich das Rolltor vor der Bar und nimmt die Bestellungen auf einer Warteliste auf. Ich lasse mir die Chance nicht entgehen und ordere mir auch eine Portion. Man sagt mir, ich solle in einer Stunde wiederkommen. Um 13 Uhr ist es dann soweit – der Chef kommt mit einem großen, dampfenden Teller aus der Küche, auf dem eine goldgelbe Tortilla de patata liegt. Vorsichtig schneidet der Maestro sie in 20 kleine Stücke und verteilt sie auf den Tellern. Das etwas flüssige Innere quillt heraus und gibt den Blick auf die eingearbeiteten Kartoffeln und Zwiebeln frei. Aber was hier so profan aussieht, ist wirklich allerhöchstes Niveau: Das Ei genau richtig gebraten und gewürzt, die Kartoffeln in der Masse sind perfekt vorgegart und teilweise noch knusprig. Ein Umami-Knaller sondergleichen. Das ist nicht nur gut, das muss wirklich eine der Besten sein. Ebenso wie der Teller vollreife Tomaten, die nur mit Meersalz und Olivenöl serviert werden. Apropos gut: Das Steak der Tischnachbarn sieht auch nicht übel aus. Um es zu verspeisen sollte man aber mindestens zu dritt sein…
Bar Nestor
Arrandegi Kalea 11
20003 San Sebastián
(Google Maps)
Neben den genannten Speisen haben auch noch ein paar weitere Kleinigkeiten den Weg in meinen Magen gefunden, darunter auf heißer Holzkohle servierter roher Kabeljau, cremiger Cheesecake oder auch ein Anchovis-Filet mit Frischkäsecreme in der Eiswaffel. Allesamt großartig und eigentlich auch eine Erwähnung wert, aber ein bisschen Entdeckungspotential muss ich ja auch noch übrig lassen.
Also: Wer sich für Essen interessiert (was ich dem geneigten Leser hier unterstelle), sollte unbedingt San Sebastián in seine Urlaubsplanungen mit einfließen lassen – es lohnt sich! Und man muss dazu nicht mal zu den großen Starköchen in die edlen Gourmettempel pilgern…