Kaffee ist nach Erdöl bekanntlich der meist gehandelte Rohstoff der Welt – und aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Und obwohl der Anteil an fair gehandeltem Kaffee in den letzten Jahren stark gestiegen ist, leben viele der 25 Millionen Kaffeebauern weltweit immer noch in einfachsten Verhältnissen, während Importeure und Konzerne große Gewinne einstreichen. Jemand, der in Sachen Transparenz und fairem Handel mit bestem Beispiel vorangeht, ist Andreas „Pingo“ Felsen von Quijote Kaffee in Hamburg. Ich habe ihn getroffen und mich mit ihm über die Idee von Quijote Kaffee und seinem Verständnis von fairem Handel unterhalten.
Pingo, wie bist du eigentlich zum Kaffee gekommen?
Ich bin schon ein alter Hase im Kaffee. Dazugekommen bin ich aber über einen Zufall. Eigentlich bin ich gelernter Buchhändler – dort habe ich mich auch stark gewerkschaftlich engagiert und war dadurch viel unterwegs, unter anderem als Menschenrechtsbeobachter bei einem Bauernaufstand Mitte der Neunziger in Mexiko. Dort sind einige Kaffeebauern an uns herangetreten und haben uns vorgeschlagen, ihren Kaffee in Deutschland zu verkaufen. Das erste Mal dann wirklich Kaffee aus Chiapas in Mexiko importiert habe ich dann 1997 oder 98 mit der Fair Trade Initiative „Café Libertad“. Und so bin ich eigentlich zum Kaffee gekommen und Importeur geworden. Später habe ich mich dann mehr und mehr für die Prozesse und Qualitäten im Kaffee interessiert. Ich wollte dann nicht mehr nur importieren, sondern auch selbst Rösten. Auf hohem Niveau kombiniert mit dem Ansatz des fairen Handels.
Die Geburtsstunde von Quijote Kaffee?
Ja, sozusagen. Zu der Zeit hatte ich meine Kollegin Steffi kennengelernt und für einige andere Kaffee-Projekte beratend gearbeitet. So hatten wir rund 1,5 Jahre Zeit, ein paar „Testläufe“ zu machen. Und so ist dann auch Quijote Kaffee entstanden – aus dem Interesse, eine moderne Kaffeerösterei mit den guten Aspekten des fairen Handels zu verbinden. Dazu gehören direkte, ehrliche und langfristige Beziehungen mit den Kaffeeproduzenten und Genossenschaften und eine stetig steigende Kaffee-Qualität, an der wir dann gemeinsam arbeiten. 2010 war dann die Gründung.
Habt ihr vom Third Wave Kaffee-Trend, der zu dieser Zeit auch in Deutschland so langsam aufkam, profitiert?
„Wir waren schnell noch erfolgreicher, als wir es in unseren Best-Case-Szenarien ausgerechnet hatten.“
In anderen Ländern war das zu der Zeit ja schon weiter. Wir hatten zum Zeitpunkt unserer Gründung mit unserem Konzept so viele Alleinstellungsmerkmale in Deutschland, dass wir natürlich von diesem Trend profitiert haben. Wir waren schnell noch erfolgreicher, als wir es in unseren Best-Case-Szenarien ausgerechnet hatten. Wir wussten natürlich, dass unser Konzept gut ist, aber dass es dann wirklich so gut geklappt hat, war wirklich schön.
Für eine kleine, unabhängige Rösterei produziert ihr mit rund 40 Tonnen pro Jahr inzwischen durchaus eine Menge Kaffee, oder?
Ja, wobei wir längst nicht das machen, was abgefragt wird. Wir haben eine rund sechsmal so hohe Nachfrage gegenüber unseres selbstgesteckten Produktionsziels von rund 1 Tonne pro Woche. Wir bleiben also sozusagen freiwillig klein. Es gibt mit dem Elbgold oder der Speicherstadt Kaffeerösterei in Hamburg deutlich größere Unternehmen in dem Bereich, die auch sehr gute Sachen machen. Aber wenn man sich anschaut, dass wir hier mit nur 6 Vollzeitstellen arbeiten, dann ist das natürlich schon eine ganze Menge.
Wie seid ihr untereinander organisiert? Gibt es eine klare Arbeitsteilung?
Nein, wir 6 machen alles selber. Intern sind wir egalitär organisiert – das heißt wir bekommen alle den gleichen Lohn, besprechen alles und entscheiden nur im Konsens.
Soll heißen, ihr seht euch gar nicht wirklich als Firma, sondern mehr als Kollektiv?
„Wir wollen einen guten Lohn haben, nämlich den Hamburger Durchschnittslohn. Und den verdienen wir auch ungefähr.“
Im kapitalistischen Sinne – also mit einer Gewinnerzielungsabsicht als Unternehmenszweck – sind wir keine klassische Firma. Wir wollen einen guten Lohn haben, nämlich den Hamburger Durchschnittslohn. Und den verdienen wir auch ungefähr. Alle Gewinne, die darüber hinausgehen, werden entweder gespendet oder reinvestiert, zum Beispiel in die Vorfinanzierung der Ernten unserer Partner-Kooperativen. Dass diese Gewinne nicht privatisiert werden können, haben wir in unserem Binnenvertrag geregelt. Das haben wir gemacht, weil wir vor unserer Gründung gemerkt haben, dass bei vielen erfolgreichen Firmen irgendwann dann doch die Gier dazu führt, dass man Kompromisse eingeht oder so. Das wollten wir nicht.
Du hast es ja vorhin schon erwähnt: Das Verhältnis zu den Produzenten ist bei euch extrem wichtig, gleichzeitig seid ihr extrem transparent – ihr veröffentlichte alle Verträge, Kalkulationen etc. auf eurer Website. Warum macht ihr das?
„Am Ende ist Transparenz gut für alle – und soll ein Beispiel für andere Kaffeeröster sein.“
Das hat mehrere Gründe. Also einerseits ist es natürlich für unsere Glaubwürdigkeit gut. Wir erfüllen – und übererfüllen – alle Kriterien des fairen Handels und arbeiten nur mit biologisch erzeugtem Kaffee, allerdings ohne Siegel zu benutzen. Wir benutzen also weder das Fair Trade-Siegel, weil dessen Kriterien anachronistisch schwach sind noch das Bio-Siegel. Und das ersetzen wir durch die Transparenz, die beweist, dass wir mit Bio-Ware arbeiten und die Fair Trade-Kriterien erfüllen bzw. übertreffen. Andererseits ist die Kaffee-Branche, wie jede andere industriell dominierte Lebensmittelbranche, voller Lügen, Heuchelei und wirklich hässlicher Sachen. Wir wollen da als Kaffeerösterei schon Impulse und Maßstäbe setzen, um andere ein bisschen vor uns herzutreiben. Daher ist das alles so offensiv. Die Transparenz richtet sich also in erster Linie nicht wirklich an unsere Kunden und Endverbraucher, sondern an die Branche. Es ist ja nicht nur so, dass wir alle wirtschaftlichen Aspekte öffentlich machen, sondern – als weltweit wahrscheinlich einzige Kaffeerösterei – auch unsere Röstprofile, also wie der Kaffee bei welchen Temperaturen geröstet wird. So sind wir auch mit ganz vielen anderen Kaffeeröstern ins Gespräch gekommen. Das hilft natürlich ganz stark im fachlichen Austausch und Lernprozess. Am Ende ist Transparenz gut für alle – und soll ein Beispiel für andere Kaffeeröster sein. Auch, dass man seine Ideale innerhalb eines Unternehmens glaubwürdig und erfolgreich vertreten kann.
Siehst du die Fair Trade-Kriterien als zu schwach an? So ein Siegel schafft ja auch Orientierung für den Verbraucher. Ist damit schon ein Schritt getan oder ist das zu wenig?
„Dieser Kaffee ist weder fair gehandelt noch werden faire Preise gezahlt – da ist nur ein Siegel drauf, das gar nichts mehr bedeutet.“
Natürlich ist durch das Siegel schon ein Schritt getan. Gerade in Zeiten niedriger Rohkaffeepreise wie derzeit ist es natürlich besser, wenn es gewisse Kriterien gibt als gar keine. Aber der Garantiepreis, den der faire Handel garantiert, ist nach unserem Verständnis ganz stark anachronistisch. Der wurde 1986 festgelegt und seitdem nur ein mal minimal nach oben angepasst. Und auch in der Fair Trade Organisation sind es eigentlich nicht die Produzenten, sondern hauptsächlich die Importeure und Röster, die das Sagen haben. Wenn man dann auch noch die Inflation der letzten dreißig Jahre in Schwellen- und Drittweltländern einrechnet, sind die festgelegten Preise auf keinen Fall ausreichend. Generell ist Fair Trade eine gute Idee, er gibt den Bauern auch die Möglichkeit, Kaffee geringerer Qualität zu festen Preisen abzugeben, aber das Konzept hat eben seine Schwächen. Man muss unterscheiden zwischen Initiativen wie El Rojito, Café Libertad, der GEPA oder Dritte Welt Partner, die sehr seriös arbeitende Fair Trade-Importeure sind, aber heute auch nicht mehr wirklich das Siegel nutzen und großen Kaffee-Firmen, die das Fair Trade Siegel auf Nischenprodukten haben. Das halte ich überhaupt nicht für glaubwürdig und kann nicht dazu raten, das zu kaufen. Da gibt es Mischkalkulationen oder gemischte Verträge mit den Produzenten. Da haben wir auch schon viele Beispiele auf unseren Reisen gesehen. Dieser Kaffee ist weder fair gehandelt noch werden faire Preise gezahlt – da ist nur ein Siegel drauf, das gar nichts mehr bedeutet.
Ihr besucht eure Produzenten also auch regelmäßig?
„Mit den Kooperativen, mit denen wir jetzt kooperieren, würde ich gerne mein Leben lang arbeiten.“
Ja, das ist der Aspekt unserer Arbeit, der mir am besten gefällt. Kaffee trinken ist ja schön, aber Kaffee bereisen ist wirklich toll. Wir wollen all unsere Kooperativen, mit denen wir arbeiten, mindestens ein mal im Jahr besuchen, die wichtigsten Partner in Guatemala, Honduras und Ecuador auch zwei mal. Dieses Jahr haben wir auch erstmals den Schritt gemacht, Gegenbesuche zu organisieren. Wir hatten gerade in den letzten Monaten zwei mal Besuch von unseren Partnern COMSA in Honduras. Der Qualitätsbeauftragte für Microlots und der Chefcupper waren jeweils für einen Monat zum Mitarbeiten hier in Hamburg. Das ist nochmal ein ganz neuer Schritt dieser Kooperation. Und das wir jetzt im 5. Jahr schon in der Lage sind, die Leute hierher einzuladen, ist für Quijote auch ein großer qualitativer Schritt. Wenn wir vor Ort sind, geht es vor allem um Vertrauen, die Kontrolle der Bedingungen vor Ort und das persönliche Kennenlernen als Menschen. Wenn die Produzenten hier in Hamburg sind und bei uns mitarbeiten, bringt uns das fachlich einfach ganz viel. Manchmal haben wir auch schon hässliche Überraschungen auf unseren Reisen erlebt, aber unsere jetzigen Partner – 9 Kooperativen in 6 Ländern – sind alle sehr, sehr gut. Wir wollen gerne langfristige Beziehungen eingehen. Und mit den Kooperativen, mit denen wir jetzt kooperieren, würde ich gerne mein Leben lang arbeiten.
Was würdest du jemandem empfehlen, der zwar gerne guten Kaffee trinkt, aber nicht so im Thema ist und sich vielleicht auch nicht so in diese ganze Third-Wave-Geschichte reinwühlen will?
Für den Heimgebrauch ist das echt nicht einfach – das erklärt ja den Erfolg von Kaffeekapseln, bei denen den Leuten mit viel Marketing erzählt wird, das wäre jetzt guter Kaffee. Die Third Wave-Szene oder auch wir bekommen das einfach nicht hin, den Leuten einen einfachen Konsum zu ermöglichen. Ich selbst mach’s mir zu hause auch einfach. Ich hab eine Handmühle, eine French Press und ne Aeropress. Das ist für mich schon ganz schön einfach. Eine Mühle ist auf jeden Fall wichtig, ob man seinen Kaffee jetzt mit einem klassischen Filter, einer Frenchpress oder sonstwie zubereiten möchte. Wer einen wirklich guten Espresso möchte, sollte ein Café seines Vertrauens aufsuchen.
Aber wo können sich die Leute informieren? Einfach bei Leuten wie dir nachfragen?
Ja, sprecht die Leute an und fragt nach. Woher kommt der Kaffee? Wer hat ihn geröstet? Wann wurde er geröstet? Kannst du etwas über den Handel des Kaffees sagen? Wie viel wird dafür gezahlt? Das sind alles Fragen, die glücklicherweise immer mehr Cafés und Röstereien beantworten können. Allein in Hamburg gibt es mit Playground, Nord Coast Coffee, One Take Coffee oder auch Public Coffee Roasters tolle neue Röstereien, die gerne solche Fragen beantworten.
Und zum Schluss: Was würdest du dir für den den Kaffeemarkt in Deutschland wünschen?
„Ja, steigende Preise sind eigentlich mein Hauptwunsch.“
Steigende Preise. Und zwar überall. Steigende Preise sind wichtig, damit wir die Produzenten für die Rohkaffees besser entlohnen können und damit auch soziale Perspektiven in den Anbaugebieten schaffen. Aber auch in der Gastronomie wünsche ich mir steigende Preise, um auch hier besser Löhne zahlen zu können. Da wird noch zu viel mit 8 Euro 50-Jobs gearbeitet. Das ist nicht angemessen für Leute, von denen man erwartet, dass sie sich mit dem, was sie tun, auskennen. Das schafft Perspektiven, den Job auch über den Nebenjob während des Studiums hinaus zu betreiben. Ja, steigende Preise sind eigentlich mein Hauptwunsch.
Vielen Dank für das Gespräch, Pingo!
Gerne!
Nach unserem Gespräch führt Pingo mich noch durch die Rösterei und das Lager. Hier wird zwischen Kaffeesäcken und Röster noch jede Packung von Hand gefüllt und beklebt. Ich mache ein paar Fotos und wir unterhalten uns noch ein bisschen über die Abläufe in der Produktion. Bevor ich gehe, drückt Pingo mir noch eine Packung ihres neuesten Microlots von Lennon Diaz aus der Partnerkooperative COMSA in Honduras in die Hand. Zuhause angekommen probiere ich den Kaffee sofort. Er hat als Filterkaffee bereits eine wunderbare Süße und einen vollen Körper. Als Espresso wird er noch intensiver. Ein toller Kaffee.
Die Kaffees von Quijote bekommt ihr in Hamburg bei Mutterland, in ausgewählten Cafés oder einfach online unter http://www.quijote-kaffee.de/
Und wer sich direkt vor Ort informieren möchte: Am 21. August findet das jährliche Hoffest bei Quijote in der Marckmannstraße 30, 20539 Hamburg, statt. Dort wird es neben Kaffee auch Essen & Trinken von befreundeten Produzenten aus der Region Hamburg geben. Ich werde da sein, kommt doch auch rum!
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