Anfang der 90er Jahre hieß es in einem Werbespot: „Die Milch macht’s!“. Aber nach dem Wegfall der Milchquoten im letzten Jahr, Exportrückgängen und einem hohen Preisdruck von Seiten des Lebensmitteleinzelhandels macht es die Milch für viele Bauern eben nicht mehr – der Preisdruck ist zu hoch, Höfe werden aufgegeben oder Investitionen müssen hinten angestellt werden. Ich wollte mehr über die aktuelle Situation der Milchbauern erfahren und wissen, ob es auch andere Wege gibt, mit Milch seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Dazu besuchte ich den Milchhof Reitbrook vor den Toren Hamburgs. Denn Jan-Hendrik Langeloh und das ganze Team des Milchhofs gehen seit vielen Jahren einen eigenen Weg und vermarkten ihre Milch selbst, statt sie an große Molkereien zu verkaufen.
Ein wunderschöner Freitag im Hamburger August. Also 15 Grad und Nieselregen. Eigentlich wollte ich mit dem Fahrrad durch die Vier- und Marschlande entlang der Dove-Elbe zum Milchhof Reitbrook radeln, aufgrund des Wetters habe ich mich dann aber doch für Bus und Bahn entschieden. Schon als ich auf den Hof einbiege, sehe ich die weißen Kastenwägen mit dem Reitbrook-Logo, welche die frische Milch in Hamburg verteilen. Am Eingang zum Stall ist Jan-Hendrik Langeloh gerade dabei, zusammen mit einem Mitarbeiter den Stall auszumisten. Als er mich entdeckt, stellt er aber die Mistgabel zur Seite und wir begeben uns ins Trockene.
Worum es in unserem Gespräch denn gehen solle, möchte Herr Langeloh wissen. Ich erläutere ihm kurz meine Beweggründe für den Artikel: fallende Preise, klagende Bauern, Lebensmittelmultis, die die Preise noch weiter drücken… „Da sind Sie bei mir eigentlich an der falschen Adresse“, lacht Herr Langeloh. Eigentlich nicht, entgegne ich – denn ich komme nicht ganz unvorbereitet. Die Reitbrooker Milch trinke ich fast täglich in meinem Kaffee und finde den Weg, wie es ein familiengeführter Landwirtschaftsbetrieb schafft, Hamburger Cafés und Privathaushalte mit einer eigenen Lieferkette zu versorgen, wahnsinnig spannend. Und Erfolgsstorys machen ja auch mehr Spaß als immer nur zu jammern.
Die jüngere Geschichte des Milchhof Reitbrook
Aber von Anfang an. Die Idee, die eigene Milch direkt ab Hof zu vermarkten, kam in Reitbrook schon Anfang der 90er Jahre auf. Damals gab es in der Nähe einige Neubaugebiete und junge Familien kamen auf dem Hof vorbei und fragten nach Milch. Es schien also Bedarf für frische Milch direkt vom Erzeuger vorhanden zu sein. Auch nachdem die Nachfrage der jungen Familien wieder etwas zurückging, glaubte man in Reitbrook fest daran, dass Milch direkt vom Bauern ein gutes Produkt sei.
„Und wenn die Kunden nicht direkt zu uns kommen, müssen wir halt zu den Kunden“
„Und wenn die Kunden nicht direkt zu uns kommen, müssen wir halt zu den Kunden“, rekapituliert Jan-Hendrik Langeloh diese Episode in der jüngeren Hofgeschichte. Zu dieser Zeit war der Hof der Langelohs noch ein ganz normaler, familiengeführter Landwirtschaftsbetrieb mit 26 Kühen in Anbindehaltung. Und auch der Betrieb der benachbarten Familie Kohrs war ähnlich aufgestellt. Zusammen begann man, sich zu informieren, welche Bedingungen und Regularien erfüllt sein müssen, um die Milch direkt vom Hof an Endverbraucher zu vermarkten. Aus diesen Überlegungen heraus entstand dann im Jahr 1997 die Milchhof Reitbrook GbR als Zusammenschluss der beiden Familien Langeloh und Kohrs. Mit einer eigentlich simplen Idee: die qualitativ beste Milch zu machen.
„Mit der geregelten Nachfolge war es auch möglich, wieder längerfristige Investitionen anzugehen“
„Für uns war es zu dieser Zeit ein wichtiges Zeichen, dass unser Sohn auch in die Landwirtschaft gehen will“, meint der Vater von Jan-Hendrik Langeloh, der gerade zufällig vorbeikommt. „Auch wenn die Idee nicht aus der Not heraus entstand, war uns klar, dass wir für einen Generationenwechsel etwas ändern müssen. Und mit der geregelten Nachfolge war es auch möglich, wieder längerfristige Investitionen anzugehen“.
Und das passierte dann auch. Zusammen wurde in einen neuen Laufstall und eine eigene Molkerei investiert. Die erste Milch floss dann im Jahr 1999, bevor im Jahr 2000 dann die Zulassung zum Verkauf von Vorzugsmilch – also gänzlich unbehandelter Milch – erteilt wurde. Und auch wenn die Vorzugsmilch, für deren Erhalt sich unter anderem der Slow Food-Verband einsetzt, heute nur ca. 10 % der verkauften Menge ausmacht, sind die Langelohs sehr stolz darauf. Sie sind inzwischen der einzige Betrieb im Raum Hamburg, der diese besonders frische, aber auch leicht verderbliche Milch, vertreiben darf. Dafür müssen sie strengere Hygiene-Standards erfüllen und auch die gemolkenen Kühe müssen dafür immer kerngesund sein.
„Die Baristas wissen die Qualität zu schätzen und tauschen sich untereinander aus. Wenn da einer den Laden wechselt, dann nimmt er die Milch mit in den nächsten.“
Die ersten Jahre ging die Milch aus Reitbrook vor allem an Privathaushalte im Südosten Hamburgs. 2008 / 2009 wurden dann auch die ersten Hamburger Cafés auf die Milch aus den Vier- und Marschlanden aufmerksam. Thomas Kliefoth, der Chef der Rösterei Elbgold, war einer der ersten Gastronomie-Kunden und fragte zunächst halbfette Milch an. Diese schäumt in der Regel besser, da durch die Entnahme von Fett auch der Zellgehalt in der Milch gesenkt wird. Aber die Reitbrooker Milch ist von so hoher Qualität, dass auch die Vollmilch sich wunderbar für Cappuccino und Flat White eignet – bei deutlich besserem Geschmack durch den höheren Fettanteil. „Die Baristas wissen die Qualität zu schätzen und tauschen sich untereinander aus. Wenn da einer den Laden wechselt, dann nimmt er die Milch mit in den nächsten“, erzählt Jan-Hendrik Langeloh. Inzwischen verwenden viele Hamburger Cafés die Milch aus Reitbrook – auch mein Stammcafé, das Less Political.
Insgesamt steht der Hof mit seinem Ansatz der Direktvermarktung auf einem soliden Fundament. Man möchte noch weiter wachsen, aber das in einem gesunden Maß und einer nachhaltigen Geschwindigkeit. Dazu werden inzwischen auch neue Wege gegangen. So arbeitet der Milchhof Reitbrook z.B. seit einiger Zeit mit dem Startup „Frischepost“ zusammen, das Hamburger mit regionalen Lebensmitteln beliefert. Dadurch können neue Käufer erreicht werden und auch die Logistik wird vereinfacht. Und auch für den Vertrieb der Milch im Lebensmittelhandel sieht Jan-Hendrik Langeloh eine Chance. Denn auch große Unternehmen wie Rewe oder Edeka besinnen sich vermehrt darauf, regionale Lebensmittel in ihr Sortiment aufzunehmen. Aber insgesamt sieht Jan-Hendrik Langeloh auch eine Grenze für das eigene Wachstum.
Also alles eitel Sonnenschein?
„Eigentlich müssten die Bauern aufstehen, wieder Gülle oder Milch vor dem Ministerium auskippen und einfach selbst aktiv werden!“
Aber dann kommen wir doch nochmal auf die Probleme im Milchmarkt zu sprechen. Eines der größten Probleme sieht Jan-Hendrik Langeloh darin, dass viele Bauern inzwischen resignieren. Über 8.000 haben allein im letzten Jahr ihren Betrieb aufgegeben. „Eigentlich müssten sie aufstehen, wieder Gülle oder Milch vor dem Ministerium auskippen und einfach selbst aktiv werden“. Aber er will den schwarzen Peter nicht den Bauern in die Schuhe schieben. Auch die Politik habe vollkommen versagt. Allerdings nicht im Sinne von fehlenden Ausgleichszahlungen, Subventionen oder Krediten, die derzeit oft gefordert werden. Vielmehr fehle vielen Bauern das „Handwerkszeug“, also die betriebswirtschaftliche Ausbildung und die fachliche Qualifikation, um auf einem freien, unreguliertem Milchmarkt zu bestehen und die Mechanismen dieses Marktes zu verstehen. Das diese Weiterbildung nicht forciert wurde, hält Jan-Hendrik Langeloh für ein klares Politikversagen. Viele Bauern haben 2013 / 2014 groß investiert, teilweise ihre Betriebe von 100 auf 500 Kühe vergrößert. Das erfordert ganz andere Qualitäten in der Führung des Betriebs und der Mitarbeiter. Aber die Milchquoten wurden 2015 aufgehoben und es herrschte eine Goldgräberstimmung. Aber nachdem es gegen Russland Exportbeschränkungen gab und auch China weniger Milch importierte, als vorher prognostiziert, rauschten die Milchpreise in den Keller. Darunter leidet nun der gesamte Wirtschaftszweig. Und auch wenn die Kontraktpreise für Dezember jetzt wieder etwas steigen, ist noch keine wirkliche Trendwende zu erkennen und der Markt ist durch Unsicherheit geprägt.
Eine gefährliche Entwicklung, wie Jan-Hendrik Langeloh bemerkt. Durch die Unsicherheit öffnet sich der Markt für ganz andere Strukturen. Investorengestützte und damit stark profitorientierte Unternehmenden betreten den Milchmarkt – denn eine profitable Bewirtschaftung ist eigentlich nur noch mit zwei Modellen machbar: Entweder man wächst und kann über die Masse seine Kosten decken – meistens zu Lasten der Mitarbeiter und der Tiere – oder man sucht sich eine Nische, in der bessere Preise erzielt werden können, wie es der Milchhof Reitbrook getan hat.
„Unsere Milch muss man sich leisten wollen und auch leisten können.“
„Natürlich ist unsere Milch ein Luxusprodukt“, meint Jan-Hendrik Langeloh im weiteren Gespräch. „Die muss man sich leisten wollen und leisten können. Bei Stammkunden, die neben Milch auch Käse und Joghurt von uns kaufen, kommen da schon mal 60 bis 70 € im Monat zusammen“. Und klar, dafür, dass er einen Preis von deutlich über 1 € für den Liter Milch verlangen kann, wird er von Kollegen auch öfters beneidet und hört Sprüche wie „Ihr seid ja auf der Sonnenseite!“. Aber auch in Reitbrook gehen die Mitarbeiter und deren Gehälter vor. Und durch die höheren Kosten für Verarbeitung, Hygiene und Vertrieb, muss am Ende des Monats auch wieder geschaut werden, was dann wirklich noch übrig bleibt.
Warum geht nicht jeder den Weg des Milchhof Reitbrook?
Man mag sich fragen, warum nicht jeder Milchbauer der Republik nun auf Direktvermarktung umsteigt. Aber so einfach ist es natürlich nicht. Ein Modell wie das des Milchhof Reitbrook ist nicht beliebig skalierbar. Zum einen muss natürlich eine Abnehmerschaft für die Milch vorhanden sein. Hier hat der Milchhof mit seiner Lage direkt vor den Toren Hamburgs natürlich eine großen Standortvorteil auf seiner Seite. Aber man muss auch der Typ dafür sein, sich präsentieren und auf Kritik und Nachfragen entsprechend reagieren können. „Das merkst du jetzt ja schon, wie wir uns hier unterhalten. Würde hier so ein stiller Muffel stehen, würde das nicht funktionieren“, meint Jan-Hendrik Langeloh. Man müsse absolut dahinter stehen, aber wachse dadurch auch persönlich, schiebt er noch hinterher.
Er empfiehlt eher, sich in kleineren Schritte ein zweites Standbein aufzubauen um unabhängiger vom Gesamtmarkt zu werden. Zum Beispiel mit einer „Milchtankstelle“ an der sich Kunden selbst Milch holen können. Oder durch die Verarbeitung der Milch zu Käse und dem schrittweisen Ausbau der Direktvermarktung. Ich sehe schon: Es gibt wie immer viele Wege, die nach Rom führen.
Ich freue mich auf jeden Fall, nun zu wissen, woher die Milch für meinen Kaffee kommt und mit welchem Selbstverständnis sie produziert wird. Und kann jedem nur ans Herz legen, sich davon auch mal selbst ein Bild zu machen.
Milchhof Reitbrook GbR
Vorderdeich 275
21037 Hamburg
Wer sich über den Milchhof informieren will, kann das jederzeit online auf der Website tun – oder einfach mal persönlich vorbeischauen.
http://www.milchhof-reitbrook.de/
Öffnungszeiten Hofverkauf:
Mo., Do. und Sa. zwischen 10 und 12 Uhr und
Mi. und Fr. zwischen 15 und 17 Uhr
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